Litigation PR: Rechtsstreitigkeiten und Öffentlichkeitsarbeit strategisch verbinden
Wenn Journalist*innen, Wissenschafter*innen, Aktivist*innen oder NGOs mit rechtlichen Schritten konfrontiert werden, denken die meisten zunächst an Rechtsberatung, Gerichtsverfahren und juristische Strategien. Dabei wird oft übersehen, dass moderne Rechtsstreitigkeiten längst nicht mehr nur in Gerichtssälen entschieden werden – sie finden parallel in der medialen Öffentlichkeit statt. Hier kommt Litigation PR ins Spiel: die strategische Kommunikation während rechtlicher Auseinandersetzungen.
Was ist Litigation PR?
Litigation PR bezeichnet die strategische Kommunikation vor, während und nach rechtlichen Auseinandersetzungen. Der Begriff setzt sich zusammen aus “litigation” für Rechtsstreitigkeit und "Public Relations" und bezeichnet ein selektiv-strategisches Kommunikationsmanagement gegenüber Medien und Öffentlichkeit in Begleitung von juristischen Verfahren.
Litigation PR verfolgt dabei zwei Hauptziele:
Prozessbeeinflusssung: Die Entwicklung des juristischen Falls im Sinne des Mandanten zu beeinflussen
Reputationsschutz & Öffentlichkeitsarbeit: Die Mandantschaft vor Imageschäden und weiteren negativen Folgen zu schützen und wenn möglich weitere Ziele im Rahmen der jeweiligen allgemeinen PR Strategie zu erreichen
Dabei geht es explizit nicht darum, falsche Informationen zu verbreiten oder Gerichte zu manipulieren. Strategische Rechtskommunikation leistet im Prinzip schlicht Übersetzungsarbeit zwischen komplexen juristischen Sachverhalten und öffentlichem Verständnis - und kann dabei so oder so eingesetzt werden.
Die Verrechtlichung öffentlicher Debatten
Wir leben in einer Zeit zunehmender Verrechtlichung gesellschaftlicher Debatten. Themen von öffentlicher Relevanz werden vermehrt vor Gerichte getragen, anstatt in demokratischen Foren ausgehandelt zu werden. SLAPP-Klagen sind ein besonders problematisches Beispiel für diese Entwicklung: Sie nutzen das Rechtssystem strategisch und missbräuchlich, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und die öffentliche Diskussion rund um die vorgetragene Kritik möglichst im Keim zu ersticken.
Diese Verrechtlichung hat eine paradoxe Doppelwirkung. Zum einen wird die Sphäre des Rechts immer relevanter für die Gestaltung von Öffentlichkeit. Gerichtsurteile und juristische Auseinandersetzungen prägen zunehmend gesellschaftliche Debatten, und die demokratische Deliberation in Form von öffentlich ausgetragenen Kontroversen weicht mehr und mehr rechtlichen Ansichten und Urteilen und entsprechenden juristischen Strategien im Kontext von Gerichtsverfahren.
Zum anderen werden öffentliche Debatten immer relevanter für die Sphäre des Rechts. Rechtsanwält*innen und mittelbar auch die Justiz müssen sich immer mehr mit Kontroversen beschäftigen, die sich aus der öffentlichen Auseinandersetzung in Anwaltskanzleien und Gerichtssäle verschieben, sowie der Klärung bzw. Gestaltung damit zusammenhängender Sachverhalte. Außerdem ist davon auszugehen, dass sich die Ausgestaltung der gesellschaftlichen Rolle von Rechtsanwält*innen und Richter*innen insgesamt verändert, wenn diese nicht mehr nur in einzelnen Extremfällen, sondern tendenziell immer öfter bei jeglicher öffentlicher Kritik zu den Entscheidungsträger*innen von Abwägungen im öffentlichen Interesse werden. Jurist*innen sind dabei natürlich selbst auch weiterhin Bürger*innen, und als solche von der zunehmend verrechtlichten Öffentlichkeit auch in der eigenen Perspektive beeinflusst.
Warum Litigation PR bei SLAPPs besonders relevant ist
SLAPP-Klagen zielen darauf ab, kritische Öffentlichkeit zu unterdrücken. Sie nutzen dabei bewusst die Tatsache, dass rechtliche Verfahren immer auch eine öffentliche Dimension haben. Die Kläger*innen setzen darauf, dass:
Die bloße Androhung rechtlicher Schritte bereits einschüchternd wirkt
Medien aus Angst vor weiteren rechtlichen Schritten weniger oder gar nicht berichten
Die finanzielle und psychische Belastung der Beklagten diese zur Aufgabe zwingt
Die Konsequenzen eingeleiteter rechtlicher Schritte (Abmahnungen, gerichtliche Erlasse, Gerichtsverfahren, richterliche Verbote der Veröffentlichung bestimmter Aspekte eines Artikels)
SLAPP-Kläger*innen betreiben also immer auch strategische Rechtskommunikation – allerdings eine destruktive, die darauf abzielt, den öffentlichen Diskurs zu verengen.
Litigation PR als Gegenstrategie
Strategische Rechtskommunikation kann jedoch auch im Sinne einer demokratischen, streitbaren Öffentlichkeit eingesetzt werden. Für SLAPP-Betroffene bietet sie mehrere wichtige Ansatzpunkte:
1. Sichtbarmachung der SLAPP-Strategie
Anstatt sich defensiv zu verhalten, können Betroffene die Einschüchterungstaktik öffentlich benennen und den eigentlichen Zweck der rechtlichen Schritte entlarven. Der Leitspruch "Getroffene Hunde bellen" wendet die Situation um: Die rechtlichen Schritte werden als Beweis dafür präsentiert, dass die ursprüngliche Kritik berechtigt war.
2. Nutzung des Streisand-Effekts
Durch geschickte Kommunikation können SLAPP-Verfahren zu mehr Aufmerksamkeit für das ursprüngliche Thema führen, statt es zu unterdrücken. Medien berichten oft intensiver über Versuche der Zensur als über die ursprüngliche Kritik.
3. Mobilisierung von Solidarität
Öffentlich gemachte SLAPP-Fälle können Unterstützung aus der Zivilgesellschaft, von Berufsverbänden und anderen Medien mobilisieren. Diese Solidarität kann sowohl moralisch als auch finanziell entscheidend sein.
4. Präventive Wirkung
Erfolgreiche Abwehr von SLAPP-Klagen durch strategische Kommunikation kann andere potenzielle Kläger*innen abschrecken und zeigen, dass Einschüchterungsversuche nicht immer zum gewünschten Erfolg führen. Angesichts dessen ist es bei SLAPPs besonders relevant, gerade aus der Betroffenenperspektive kommunikativ möglichst in die offensive zu gehen und Kommunikationsstrategien zu entwickeln und zu nutzen.
Proaktive Kommunikation statt Schweigen: Das klassische "Kein Kommentar" überlässt die Deutungshoheit den Angreifer*innen. Stattdessen sollten Betroffene eigene Narrative entwickeln und die Sachlage transparent darstellen.
Einbettung in größere Zusammenhänge: SLAPP-Fälle sollten nicht als isolierte Rechtsstreitigkeiten dargestellt, sondern in den Kontext der Bedrohung der Meinungsfreiheit eingeordnet werden.
Dokumentation und Transparenz: Die systematische Dokumentation des SLAPP-Verfahrens und dessen öffentliche Zugänglichmachung, bspw. mit Hilfe der No SLAPP Anlaufstelle, kann anderen Betroffenen helfen und das Problem sichtbar machen.
Vernetzung und Kollektivierung: Einzelne SLAPP-Fälle gewinnen an Kraft, wenn sie als Teil eines größeren Musters erkennbar werden. Die Vernetzung mit anderen Betroffenen, bspw. über das No SLAPP Bündnis, stärkt die Botschaft und die eigene Konfliktfähigkeit sowie Ausdauer.
Trotz ihrer Relevanz ist strategische Rechtskommunikation bei den typischen SLAPP-Zielgruppen noch wenig bekannt. Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und NGOs konzentrieren sich oft ausschließlich auf die juristische Verteidigung und übersehen die kommunikativen Möglichkeiten.
Dies ist problematisch, weil zunehmend professionalisierte SLAPP-Kläger*innen bereits seit längerem systematisch Litigation PR einsetzen; die öffentliche Wahrnehmung gerade bei Themen, gegen die mit SLAPPs vorgegangen wird, oft entscheidender ist als der reine Verfahrensausgang; ungenutzte Chancen zur Stärkung des eigenen Anliegens durch strategische Kommunikation rund um das Verfahren verstreichen sowie der Abschreckungseffekt von SLAPPs verstärkt wird.
Litigation PR als Instrument zu Verteidigung der demokratischen Öffentlichkeit richtig einsetzen
Erfolgreiche strategische Rechtskommunikation für SLAPP-Betroffene sollte:
Wahrhaftig bleiben: Alle Aussagen müssen faktisch korrekt sein. Litigation PR bedeutet nicht, die Wahrheit zu verbiegen, sondern sie strategisch klug zu kommunizieren.
Rechtliche Strategie integrieren: Die Kommunikation muss eng mit der juristischen Verteidigung abgestimmt werden, um diese nicht zu gefährden.
Langfristig denken: Litigation PR zielt nicht nur auf den aktuellen Fall, sondern auf die nachhaltige Stärkung der eigenen Position und die Abschreckung künftiger SLAPP-Versuche.
Professionelle Unterstützung nutzen: Wie bei der rechtlichen Verteidigung kann auch bei der strategischen Kommunikation externe Expertise entscheidend sein.
Strategische Rechtskommunikation muss kein Privileg der Mächtigen bleiben, sondern kann ein demokratisches Instrument werden, das auch von SLAPP-Betroffenen genutzt werden kann und sollte. In einer Zeit, in der juristische und öffentliche Auseinandersetzungen immer stärker verschmelzen, ist es unverzichtbar, beide Dimensionen strategisch zu bedenken.
Die No SLAPP Anlaufstelle unterstützt Betroffene nicht nur bei der rechtlichen Verteidigung, sondern auch bei der Entwicklung kommunikativer Strategien. Denn nur wer beide Ebenen – die juristische und die öffentliche – professionell bespielt, kann aus SLAPP-Angriffen gestärkt hervorgehen und zugleich einen Beitrag zur Verteidigung der demokratischen Öffentlichkeit leisten.
Weitere Informationen und Unterstützung finden Sie auf www.noslapp.de
Haben Sie Erfahrungen mit SLAPP-Klagen gemacht oder benötigen Beratung zu strategischer Rechtskommunikation? Kontaktieren Sie die No SLAPP Anlaufstelle – wir unterstützen Sie dabei, rechtliche Einschüchterungsversuche nicht nur abzuwehren, sondern sie für die Stärkung Ihrer wichtigen gesellschaftlichen Arbeit zu nutzen.