Demokratie unter Druck: Tagung zu Akteuren und Strategien politischer Öffentlichkeiten
Vom 30. September bis 2. Oktober 2025 fand in Erlangen der zweite Teil der Doppeltagung "Politische Öffentlichkeit" der DVPW-Sektion für Politische Theorie und Ideengeschichte statt. Während der erste Teil im Frühjahr in Erfurt die Strukturen politischer Öffentlichkeiten in den Blick nahm, konzentrierte sich die Erlanger Tagung auf die Akteure und Strategien, die diese Öffentlichkeiten prägen, bedrohen oder verteidigen. Für die Arbeit der No SLAPP Anlaufstelle bot die Tagung wichtige theoretische Perspektiven auf Phänomene, mit denen wir täglich konfrontiert sind: die systematische Einschüchterung kritischer Stimmen, die Erosion demokratischer Diskursräume und die Frage, wer Öffentlichkeit gestaltet.
Wer darf sprechen? Die umkämpften Grenzen des Sagbaren
Die Tagung eröffnete mit einem Panel zu den "Grenzgängen des Sagbaren", das sich mit Sagbarkeitsgrenzen als umkämpften Filtern der politischen Öffentlichkeit beschäftigte. Floris Biskamp und Hannah Hecker analysierten, wie diese Grenzen nicht natürlich gegeben sind, sondern aktiv gesetzt, verschoben und verteidigt werden. Diese Perspektive ist für das Verständnis von SLAPP-Klagen zentral: Sie sind ein Instrument, um genau diese Sagbarkeitsgrenzen strategisch zu verschieben und kritische Stimmen mundtot zu machen. Wenn Journalist*innen, Aktivist*innen oder Wissenschaftler*innen mit ruinösen Klagen überzogen werden, geht es nicht primär um den rechtsstaatlichen Wert des Zugangs zum Recht selbst, sondern darum, den Raum des Sagbaren einzuengen und andere vom Sprechen abzuhalten.
Das folgende Panel erweiterte diese Perspektive um die emotionale Dimension öffentlicher Kommunikation. Mareike Gebhardt untersuchte, wie in vermachteten Öffentlichkeiten selektiv darüber entschieden wird, wessen Trauer und Leid öffentlich sichtbar werden darf – ein Mechanismus, der eng mit Fragen der Repräsentation und des Ausschlusses verknüpft ist. Laura Gorriahn beleuchtete die paradoxe Dynamik zwischen Verletzungsoffenheit und Verletzungsmacht in demokratischen Öffentlichkeiten. Diese Überlegungen sind hochrelevant für die Betroffenen von SLAPP-Klagen, deren psychische und emotionale Belastung durch die Klagen oft unterschätzt und deren Verwundbarkeit strategisch ausgenutzt wird.
Moralisierung als Waffe? Die Ambivalenz öffentlicher Kommunikation
Cord Schmelzles Keynote zur Frage, ob die Moralisierung der öffentlichen Kommunikation eine Gefahr für die Demokratie darstellt, bot eine differenzierte Analyse eines gegenwärtig viel diskutierten Phänomens. Während moralische Argumente einerseits notwendig sind, um Ungerechtigkeiten zu benennen und Veränderungen anzustoßen, können sie andererseits instrumentalisiert werden, um Diskursräume zu verengen und abweichende Meinungen zu delegitimieren. Diese Ambivalenz zeigt sich auch im Kontext von SLAPP: Kläger*innen inszenieren sich oft selbst als Opfer vermeintlicher Rufschädigung und nutzen moralisierende Narrative, um ihre Einschüchterungstaktiken zu legitimieren. Gleichzeitig sind es gerade moralische Motive – etwa im Bereich der Menschenrechte, des Umweltschutzes oder der Korruptionsbekämpfung –, die von SLAPP-Betroffenen vorgebracht werden und unter Umständen umso stärker gemacht werden müssen.
Neue Akteure, alte Muster: Widerstand und Regression
Das Panel zu neuen Akteuren und Interventionsformen zeigte, wie zivilgesellschaftliche Gruppen mit performativen Strategien um öffentlichen Raum kämpfen und wie verdeckte Widerstandsformen als Ressource demokratischer Öffentlichkeit dienen können. Viktoria Huegels Beitrag zu "Training for the future" und Mascha Lienings Ausführungen zu versteckten Widerstandsstrategien machten deutlich, dass gerade diejenigen, die aus strukturellen Gründen vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen sind, kreative Wege finden müssen, um gehört zu werden.
Besonders relevant für die Arbeit gegen SLAPP war das Panel zu den "Schattenseiten der politischen Öffentlichkeit". Tobias Adler-Bartels analysierte die radikal-konservative Kritik an der demokratischen Öffentlichkeit, während Christian Schwaabe die “politische Mobilisierung der Niedertracht" untersuchte. Diese Perspektiven legen ein weiteres Mal nahe, dass SLAPP-Klagen nicht isoliert betrachtet werden können, sondern als Teil einer breiteren antidemokratischen Strategie zu verstehen sind, die darauf abzielt, kritische Öffentlichkeit systematisch zu untergraben.
Vermachtete Öffentlichkeit und demokratische Regression
Das Panel zur "vermachteten Öffentlichkeit" griff mit Lea Watzingers Beitrag zur Rolle von Whistleblowing ein Thema auf, das für den Schutz vor SLAPP essentiell ist. Whistleblower*innen sind besonders häufig Ziel strategischer Klagen, da sie Machtmissbrauch und Fehlverhalten aufdecken. Vincent Augusts konflikttheoretische Analyse vermachteter Öffentlichkeit am Beispiel der Klimapolitik zeigte, wie strukturelle Machtverhältnisse den öffentlichen Diskurs prägen und bestimmte Positionen systematisch privilegieren oder marginalisieren.
Das abschließende Panel zu "Politischer Öffentlichkeit und demokratischer Regression" erweiterte den Blick über demokratische Kontexte hinaus. Valerian Thielicke-Witts Reflexionen zur postkolonialen Situation in autoritären Kontexten und Campbell MacGillivrays Analyse des "Anti-Democratic International" machten deutlich, dass die Bedrohung demokratischer Öffentlichkeit ein globales Phänomen ist. Die Vernetzung antidemokratischer Akteure über Ländergrenzen hinweg und der Austausch von Strategien zur Unterdrückung kritischer Stimmen sind Entwicklungen, die auch für die SLAPP-Problematik relevant sind, da Einschüchterungsklagen ein grenzüberschreitendes Phänomen sind.
Gleichheit im Sprechen: Eine normative Vision
Teresa Bejans Keynote "Speaking as Equals" bot zum Abschluss eine normative Vision demokratischer Öffentlichkeit, die auf der Gleichheit aller Sprechenden basiert. Diese Perspektive ist fundamental für den Kampf gegen SLAPP: Wenn wohlhabende oder mächtige Akteure durch missbräuchliche Klagen faktisch verhindern können, dass andere gleichberechtigt am öffentlichen Diskurs teilnehmen, wird das demokratische Ideal der Redegleichheit fundamental verletzt. SLAPP-Klagen sind ein Instrument der Ungleichheit – sie funktionieren gerade deshalb, weil die Klägerseite über mehr Ressourcen verfügt und diese Asymmetrie strategisch einsetzt.
Fazit: Theorie und Praxis im Dialog
Die Erlanger Tagung bot wichtige theoretische Perspektiven auf Phänomene, mit denen die No SLAPP Anlaufstelle in ihrer praktischen Arbeit täglich konfrontiert ist. Die Diskussionen machten deutlich, dass SLAPP-Klagen nicht als isoliertes juristisches Problem verstanden werden sollten, sondern als Teil einer breiteren Entwicklung, in der die demokratische Öffentlichkeit zunehmend unter Druck gerät. Die systematische Analyse von Akteuren, Strategien und Machtstrukturen hilft zu verstehen, warum der Schutz vor missbräuchlichen Klagen so wichtig ist: Es geht nicht nur um einzelne Betroffene, sondern um die Verteidigung des demokratischen Diskursraums selbst. Die Verbindung von politiktheoretischer Reflexion und praktischer Arbeit bleibt dabei essentiell – denn nur wenn wir die strukturellen Zusammenhänge verstehen, können wir wirksame Gegenstrategien entwickeln.