Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Anti-SLAPP-Richtlinie: Ein wichtiger Schritt - aber es bleibt viel zu tun
Die Stellungnahme zum Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Anti-SLAPP-Richtlinie der No SLAPP Anlaufstelle erläutert, warum der Referentenentwurf zu kurz greift und wo dringender Handlungsbedarf besteht.
Am 31. Juli 2025 hat die No SLAPP Anlaufstelle ihre Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zur Umsetzung der EU-Anti-SLAPP-Richtlinie eingereicht. Nach über einem Jahr intensiver Arbeit mit mehr als 50 Kontaktanfragen bringen wir dabei eine klare Botschaft zum Ausdruck: Der vorliegende Entwurf ist ein wichtiger erster Schritt, verfehlt aber die Lebensrealität der Betroffenen.
Was der Referentenentwurf richtig macht
Die No SLAPP Anlaufstelle begrüßt ausdrücklich mehrere Elemente des Referentenentwurfs, die unsere Arbeit unterstützen werden. Dazu gehören insbesondere:
Anwendung auch auf nationale Fälle: Anders als die EU-Richtlinie, die sich auf grenzüberschreitende Fälle beschränkt, sollen die neuen Schutzregelungen auch bei rein nationalen SLAPP-Verfahren greifen. Dies entspricht der Realität unserer Fallberatung und zeigt, dass der Gesetzgeber das Problem ernst nimmt.
Beschleunigungsgebot: Die vorgesehene beschleunigte Behandlung von SLAPP-Verfahren kann die psychische Belastung für Betroffene erheblich reduzieren. Allerdings ist darauf zu achten, dass sich das ohnehin bestehende Machtungleichgewicht zwischen SLAPP-Kläger:innen und Beklagten durch verkürzte Schriftsatzfristen nicht noch verstärkt.
Erweiterte Kostenerstattung: Die Regelung in § 618 Abs. 3 ZPO-E verbessert die Rechtsdurchsetzung von Beklagten und kann helfen, die finanziellen Hürden für eine effektive Verteidigung zu senken.
Realistische Definition: Der Referentenentwurf wertet korrekterweise auch teilweise unbegründete Ansprüche als potenzielle SLAPPs. Dies ist wichtig, da SLAPP-Kläger:innen oft bewusst rechtliche Grauzonen nutzen.
Die größte Schwachstelle: Außergerichtlicher Bereich bleibt unbeachtet
Unsere praktischen Erfahrungen zeigen jedoch eine gravierende Lücke im Referentenentwurf auf: Ein Großteil der von uns betreuten Fälle begannen mit einer Abmahnung oder einem anwaltlichen Schreiben - nur ein Bruchteil führte tatsächlich zu einem Gerichtsverfahren. Der Einschüchterungseffekt von SLAPPs tritt bereits bei der ersten Kontaktaufnahme ein. Wenn der Gesetzgeber den außergerichtlichen Bereich ungeregelt lässt, läuft er Gefahr, an der Realität der Betroffenen vorbei zu agieren.
Konkrete Beispiele aus unserer Beratung
Ein Lokaljournalist erhielt mehrere Unterlassungsaufforderungen wegen seiner legitimen Berichterstattung über kommunale Missstände. Alle Verfahren wurden später eingestellt - der Schaden für die Pressefreiheit war jedoch bereits entstanden.
Ein Bündnis gegen Antisemitismus änderte seine öffentlich geäußerte legitime Kritik an einer Kulturveranstaltung ab, nachdem es abgemahnt wurde - aus Angst vor einem aufwändigen und kostspieligen Verfahren.
Eine international tätige Hilfsorganisation wurde wegen ihrer legitimen Kritik an einem deutschen Konzern bezüglich Arbeitnehmer:innenrechten abgemahnt und sah sich dadurch in ihrer wichtigen Aufklärungsarbeit behindert.
Unser Lösungsvorschlag: Regelungen analog § 97a UrhG
Wir schlagen vor, analog zu § 97a UrhG umfassende Regelungen für den äußerungsrechtlichen Bereich zu schaffen, inklusive Kostendeckung für eine erste Abmahnung auf maximal 1.000 Euro sowie Erstattungspflicht bei unberechtigten Abmahnungen.
Weitere kritische Punkte
Sanktionen greifen zu kurz
Die vorgesehene besondere Gebühr nach § 618 Abs. 2 ZPO-E bleibt zahnlos. Bei einem typischen SLAPP-Fall mit 50.000 Euro Streitwert würde sie nur etwa 1.914 Euro betragen - ein Betrag, der finanzstarke Kläger:innen nicht abschreckt. SLAPP-Kläger:innen kalkulieren bewusst mit hohen Kosten, um Beklagte zu überlasten.
Unser Vorschlag: Die besondere Gebühr sollte auf mindestens das 10-fache der Verfahrensgebühr erhöht werden, bei besonders schweren Fällen bis zum 15-fachen, oder alternativ eine Orientierung an aussagekräftigen Faktoren der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des SLAPP-Klagenden.
Definition erfasst Realität nur teilweise
Viele Fälle aus unserer Beratung bewegen sich in rechtlichen Grauzonen. SLAPP-Kläger:innen setzen häufig auf:
Teilweise begründete Ansprüche mit völlig überzogenen Streitwerten
Serielle Klagen wegen geringfügiger Anlässe
Parallele Verfahren gegen verschiedene Personen derselben Organisation
Strategische Nutzung unterschiedlicher Rechtsgebiete
Die Definition sollte erweitert werden um die Berücksichtigung des Gesamtkontexts paralleler oder serieller Verfahren und die explizite Berücksichtigung von Machtungleichgewichten.
Strukturelle Finanzierungslücke schließen
Ein weiterer kritischer Punkt: Die No SLAPP Anlaufstelle wird derzeit durch eine zeitlich begrenzte Projektförderung finanziert, die Anfang 2026 ausläuft. Artikel 19 Abs. 2 der EU-Richtlinie verpflichtet Mitgliedstaaten jedoch zur Bereitstellung "geeigneter und wirksamer Unterstützungsmaßnahmen". Eine projektbasierte Finanzierung wird dieser Verpflichtung nicht gerecht.
Unser Vorschlag: Das Gesetz sollte die institutionelle Förderung einer bundesweiten SLAPP-Beratungsstelle vorsehen, die umfassende Unterstützung bietet - von rechtlicher Erstberatung über psychosoziale Unterstützung bis hin zu Präventionsschulungen.
Empfehlungen für strukturelle Verbesserungen
Über die akuten Lücken hinaus empfehlen wir langfristige strukturelle Verbesserungen:
Verpflichtende Fortbildungen für Richter:innen zur SLAPP-Identifikation und -bewertung
Monitoring-System zur systematischen Erfassung von SLAPP-Fällen
Präventive Maßnahmen wie verpflichtende Schulungen für Anwält:innen
Gesetzliche Regelung der Beratungsfinanzierung
Fazit: Die Chance nutzen
Der vorliegende Referentenentwurf stellt einen wichtigen ersten Schritt dar, bleibt aber aus Sicht der Betroffenenberatung deutlich hinter dem zurück, was für wirksamen Schutz vor SLAPPs erforderlich wäre.
Deutschland hat die Chance, europaweit Maßstäbe für den Schutz kritischer Stimmen zu setzen – diese Chance sollte genutzt werden. Ein Gesetz, das nur gerichtliche Verfahren regelt und den außergerichtlichen Bereich unbeachtet lässt, verfehlt die Lebensrealität der Betroffenen. Deshalb muss der Referentenentwurf dringend um wesentliche Aspekte ergänzt werden.
Die vollständige Stellungnahme der No SLAPP Anlaufstelle zum Referentenentwurf ist hier verfügbar. Die No SLAPP Anlaufstelle wird gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und ist ein Projekt in Trägerschaft von Blueprint for Free Speech e.V. in Kooperation mit Reporter ohne Grenzen, der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, dem Deutschen Journalisten Verband, FragDenStaat und Aktion gegen Arbeitsunrecht.