Wie SLAPPs deutsche Zivilgerichte belasten und warum ein umfassendes Gesetz für Entlastung sorgen kann
Deutsche Zivilgerichte sind bereits chronisch überlastet – doch strategische Einschüchterungsklagen verschärfen das Problem zusätzlich. Diese missbräuchlichen Verfahren binden wertvolle gerichtliche Ressourcen für Klagen, deren einziger Zweck die Einschüchterung kritischer Stimmen ist. Ein umfassendes Anti-SLAPP-Gesetz könnte nicht nur Journalist:innen und Aktivist:innen schützen, sondern mittelfristig auch die Gerichte spürbar entlasten.
Das Problem überlasteter Gerichte wird durch SLAPPs verschärft
Die deutschen Zivilgerichte sind chronisch überlastet. Landgerichte benötigen durchschnittlich 14,4 Monate bis zum Urteil, und die strukturellen Probleme von Personalknappheit und steigenden Fallzahlen sind seit Jahren bekannt. Diese angespannte Situation ist aber auch bedingt durch strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung – sogenannte SLAPPs –, die das Problem weiter verschärfen und erst jetzt langsam mehr Beachtung innerhalb der juristischen Debatte finden.
SLAPPs sind missbräuchliche Gerichtsverfahren, deren primärer Zweck nicht die Durchsetzung berechtigter Ansprüche ist, sondern die Einschüchterung von Journalist:innen, Aktivist:innen und anderen kritischen Stimmen. Wie EU-Justizkommissar Didier Reynders treffend feststellte, "belasten diese Klagen auch die Gerichte unnötig". Diese unnötige Belastung manifestiert sich auf verschiedene Weise und verstärkt die bereits bestehende Überlastung der deutschen Justiz erheblich.
Ein zentrales Problem liegt in den überdurchschnittlich hohen Streitwerten von SLAPP-Verfahren. Die aktuelle Studie "Einschüchterung ist das Ziel" der Otto-Brenner-Stiftung zeigt, dass 13 Prozent der SLAPP-Klagen Streitwerte zwischen 200.001 und 500.000 Euro erreichen. Solche Streitwerte haben nicht nur "hohe Prozesskosten zur Folge", wie die Studie betont, sondern führen auch zu deutlich komplexeren und zeitaufwändigeren Gerichtsverfahren.
Während reguläre Zivilverfahren oft mit deutlich niedrigeren Streitwerten operieren, müssen Gerichte bei SLAPPs unverhältnismäßig viel Zeit und Ressourcen für Verfahren aufwenden, deren gesellschaftlicher Nutzen fragwürdig ist. Das Missbrauchspotential ist entsprechend groß, da die hohen Streitwerte bewusst eingesetzt werden, um Druck auf die Beklagten auszuüben und gleichzeitig die gerichtlichen Ressourcen maximal zu beanspruchen.
Parallele Verfahren als systematische Ressourcenbindung
Besonders problematisch ist die Taktik der Parallelverfahren, die SLAPP-Kläger:innen systematisch einsetzen. Die Otto-Brenner-Studie stellt fest, dass SLAPPs "häufig mehrere missbräuchliche Elemente aufweisen", zu denen auch die gezielte Führung mehrerer Verfahren gegen dieselben Beklagten gehört. Jedes dieser Verfahren muss von den Gerichten einzeln und vollständig bearbeitet werden, auch wenn die zugrundeliegenden Sachverhalte ähnlich oder sogar identisch sind.
Diese Praxis führt zu einer künstlichen Vervielfachung der Arbeitsbelastung ohne entsprechenden gesellschaftlichen Nutzen. Während reguläre Klagen der Rechtsdurchsetzung dienen, binden SLAPPs gerichtliche Kapazitäten für Verfahren, deren primäres Ziel die Einschüchterung ist. Die Gerichte werden damit zu unfreiwilligen Instrumenten einer Strategie, die gegen die Grundprinzipien des demokratischen Diskurses gerichtet ist.
Der "fliegende Gerichtsstand" verstärkt regionale Ungleichgewichte
Ein weiterer Aspekt der SLAPP-bedingten Gerichtsbelastung zeigt sich im sogenannten "fliegenden Gerichtsstand". SLAPP-Kläger:innen wählen gezielt besonders "klägerfreundliche" Gerichte aus, was zu einer ungleichmäßigen Verteilung der Verfahren führt. Landgerichte in Hamburg, Berlin und Köln sind besonders betroffen und müssen überproportional viele dieser missbräuchlichen Verfahren bearbeiten.
Diese regionale Konzentration verschärft nicht nur die Überlastung bestimmter Gerichte, sondern untergräbt auch das Prinzip der gleichmäßigen Justizgewährung. Während einige Gerichte mit SLAPP-Verfahren überschwemmt werden, bleiben andere von dieser zusätzlichen Belastung verschont – eine Situation, die dem Grundsatz der effizienten Ressourcenverteilung im Justizsystem widerspricht.
Fehlende Erkennungsinstrumente erschweren angemessene Reaktionen
Die Bundesregierung erklärt in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage, dass "nach ihrer Kenntnis die Praxis der deutschen Gerichte bislang keine Erfahrungen mit dem Phänomen solcher SLAPP-Klagen" hat. Diese Aussage bedeutet jedoch nicht, dass keine SLAPPs stattfinden, sondern vielmehr, dass das deutsche Rechtssystem bisher keine Instrumente zur systematischen Erkennung und angemessenen Behandlung dieser missbräuchlichen Verfahren entwickelt hat.
Gerichte müssen derzeit auch offensichtlich missbräuchliche Klagen bis zum Ende durchführen, da ihnen die rechtlichen Mittel zur frühzeitigen Beendigung solcher Verfahren fehlen. Diese Situation führt zu einer ineffizienten Nutzung gerichtlicher Ressourcen und verstärkt die Belastung des bereits überlasteten Justizsystems.
Internationale Erfahrungen zeigen Lösungswege auf
Die Erfahrungen aus anderen Ländern demonstrieren jedoch, dass wirksame Anti-SLAPP-Gesetze tatsächlich zu einer deutlichen Entlastung der Gerichte führen können. In US-Bundesstaaten mit entsprechenden Schutzgesetzen ist ein markanter Rückgang strategischer Einschüchterungsklagen zu beobachten. Diese Gesetze ermöglichen es Gerichten, missbräuchliche Klagen schnell abzuweisen und schaffen finanzielle Anreize gegen Rechtsmissbrauch, was sich als wirksame Abschreckung erwiesen hat.
Die EU-Richtlinie 2024/1069 erkennt das Problem der gerichtlichen Belastung durch SLAPPs explizit an und schreibt den Mitgliedstaaten die Einführung bestimmter Schutzmaßnahmen vor. Allerdings beschränkt sich die Richtlinie auf grenzüberschreitende Fälle, während die meisten deutschen SLAPPs rein national sind. Ein umfassendes deutsches Anti-SLAPP-Gesetz müsste daher über die EU-Mindeststandards hinausgehen.
Sofortige Entlastung durch neue Verfahrensinstrumente
Ein umfassendes Anti-SLAPP-Gesetz könnte bereits kurzfristig zu einer spürbaren Entlastung der Zivilgerichte führen. Besonders wirksam wäre die Einführung einer beschleunigten Abweisung offensichtlich unbegründeter Klagen. Gerichte könnten missbräuchliche Verfahren frühzeitig erkennen und beenden, statt sie über Monate oder Jahre durchführen zu müssen. Diese "early dismissal"-Regelung würde die Arbeitsbelastung pro SLAPP-Fall drastisch reduzieren und gleichzeitig die Einschüchterungswirkung minimieren.
Sicherheitsleistungen würden zusätzlich dafür sorgen, dass viele missbräuchliche Klagen gar nicht erst eingereicht werden. Wenn Kläger:innen eine Kaution für die Verfahrenskosten hinterlegen müssen, sinkt die Bereitschaft zur Führung aussichtsloser oder rein einschüchternder Verfahren erheblich. Die Entlastung würde also bereits vor Verfahrensbeginn einsetzen.
Mittelfristige Präventionswirkung durch veränderte Anreizstrukturen
Die wahre Entlastungswirkung eines umfassenden Anti-SLAPP-Gesetzes würde sich jedoch mittelfristig durch die Veränderung der Anreizstrukturen entfalten. Wenn SLAPP-Kläger:innen bei festgestelltem Rechtsmissbrauch nicht nur ihre eigenen Kosten, sondern auch sämtliche Verteidigungskosten der Beklagten tragen müssen, verändert sich die Kosten-Nutzen-Kalkulation fundamental. Die Erfahrung zeigt, dass bereits die Ankündigung rechtlicher Reformen inkl. etwaiger gebühren präventive Wirkung entfalten kann, da Anwaltskanzleien ihre Mandant:innen über die erhöhten Risiken aufklären müssen.
Strukturelle Reformen wie die Beseitigung des "fliegenden Gerichtsstands" würden zusätzlich dafür sorgen, dass SLAPP-Kläger:innen ihre Erfolgsaussichten nicht mehr durch die gezielte Auswahl besonders klägerfreundlicher Gerichte maximieren können. Dies würde sowohl die regionale Überlastung bestimmter Gerichte beenden als auch die Attraktivität von SLAPP-Strategien insgesamt reduzieren.
Notwendigkeit klarer Kriterien und richterlicher Sensibilisierung
Für die optimale Entlastungswirkung ist jedoch entscheidend, dass Gerichte missbräuchliche Verfahren zuverlässig erkennen können. Die Otto-Brenner-Studie nennt objektive Kriterien wie "Machtungleichgewicht, unverhältnismäßige Forderungen, problematische Verfahrenstaktik und prozessbegleitende Einschüchterungen". Diese Indikatoren müssen in klare rechtliche Definitionen übersetzt werden, die Richter:innen eine sichere Anwendung ermöglichen.
Die im Februar 2025 an der Deutschen Richterakademie durchgeführte Fachtagung zu SLAPP-Klagen zeigt, dass das Problembewusstsein in der Justiz wächst. Solche Fortbildungsmaßnahmen sind essentiell, damit die neuen rechtlichen Instrumente auch tatsächlich zur Anwendung kommen und ihre entlastende Wirkung entfalten können.
Grenzen und Herausforderungen berücksichtigen
Dennoch sollten die Grenzen der Entlastungswirkung realistisch eingeschätzt werden. Ein wirksames Anti-SLAPP-Gesetz könnte dazu führen, dass Einschüchterungsversuche verstärkt in vorgerichtliche Bereiche verlagert werden. Aggressive Abmahnungen und Drohschreiben würden möglicherweise zunehmen, wenn gerichtliche SLAPPs weniger attraktiv werden.
Internationale SLAPPs, bei denen deutsche Betroffene in anderen Ländern verklagt werden, bleiben ebenfalls eine Herausforderung. Hier sind die Wirkungsmöglichkeiten nationaler Gesetzgebung naturgemäß begrenzt, auch wenn die EU-Richtlinie erste Schritte zur Nichtanerkennung ausländischer SLAPP-Urteile vorsieht.
Über die EU-Mindeststandards hinausgehen
Für eine optimale Entlastungswirkung muss Deutschland über die EU-Mindeststandards hinausgehen. Die EU-Richtlinie gilt nur für grenzüberschreitende Zivil- und Handelssachen, während die meisten deutschen SLAPPs rein national sind. Ein umfassendes deutsches Gesetz müsste alle SLAPP-Konstellationen erfassen, um Schutzlücken zu vermeiden. Die Forderungen des No-SLAPP-Bündnisses gehen daher zu Recht über die EU-Vorgaben hinaus.
Win-Win-Situation für Demokratie und Justiz
Ein umfassendes Anti-SLAPP-Gesetz würde eine echte Win-Win-Situation schaffen: Der primäre Zweck – der Schutz der Meinungsfreiheit und des demokratischen Diskurses – würde erreicht, während gleichzeitig die überlasteten Zivilgerichte spürbar entlastet würden. Diese Doppelwirkung macht Anti-SLAPP-Gesetzgebung zu einer besonders wertvollen Investition in den Rechtsstaat.
Die Umsetzungsfrist der EU-Richtlinie bis Mai 2026 bietet Deutschland die Chance, international eine Vorreiterrolle zu übernehmen und zu zeigen, wie effektiver Schutz vor strategischen Einschüchterungsklagen aussehen kann. Die deutschen Erfahrungen könnten dann auch anderen EU-Mitgliedstaaten als Vorbild dienen.
Die Belastung der deutschen Zivilgerichte durch SLAPPs ist real und verschärft ein bereits bestehendes strukturelles Problem. Ein umfassendes Anti-SLAPP-Gesetz könnte nicht nur den Betroffenen helfen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Entlastung des Justizsystems leisten. Die Zeit zum Handeln ist gekommen – für die Demokratie, für die Meinungsfreiheit und für eine effizient funktionierende Justiz.
Wenn Sie von strategischen Einschüchterungsklagen betroffen sind, finden Sie Unterstützung bei der No SLAPP Anlaufstelle unter www.noslapp.de oder wenden Sie sich an unsere spezialisierten Rechtsexpert:innen.